Was die Zukunft bringt – ASGS
Wer aus Fehlern lernt, macht alles richtig – zum positiven Umgang mit Beinahe-Unfällen in der Arnold AG
Patrick Käser
Bereichsleiter Qualitäts-/Umweltmanagement & Arbeitssicherheit, Hauptsitz, Wangen a.A.
Arnold will sich nicht nur punkto Leistungsportfolio laufend weiterentwickeln und Inno-vationen vorantreiben, sondern auch im Bereich Arbeitssicherheit vorne mitspielen. Um Arbeitsunfälle auf der Baustelle zu verhindern und sie schon dann zu erkennen, wenn sie beinahe passieren, haben wir ein internes Projekt lanciert. Mit Patrick Käser, dem Bereichsleiter für Qualitäts-management, Umwelt-management und Arbeits-sicherheit & Gesund-heitsschutz bei Arnold AG, haben wir über unsere neue interne Sensibilisierungs-kampagne zu Beinahe-Unfällen gesprochen.
Patrick, du leitest das neue Sensibilisierungsprojekt zu Beinahe-Unfällen. Warum wurde dieses Thema in Angriff genommen und wie war die Ausgangslage? In den vergangenen Jahren konnten wir im Bereich ASGS (Arbeitssicherheit & Gesundheitsschutz) jedes Jahr bessere Zahlen verzeichnen. Allerdings haben wir festgestellt, dass sich zwischendurch trotzdem Unfälle mit einem hohen Verletzungspotential ereigneten. Die Hilfsmittel der Suva, welche wir oft verwendeten, schienen nicht mehr ausreichend zu sein. Wir hatten das Gefühl, dass diese nicht mehr so gut ankamen, da sich all diese Unterlagen sehr ähnlich sind und nicht mehr jene Aufmerksamkeit generieren, die wir uns wünschen. Deshalb gelangte von der Geschäftsleitung der Auftrag zu uns, etwas Eigenes, Neues auf die Beine zu stellen, um «wachzurütteln». Unsere erste Idee war, Filme zu produzieren oder schockierende Fotos, wie sie auf Zigarettenpackungen verwendet werden, einzusetzen. Abklärungen haben aber ergeben, dass dies schlussendlich sehr kostspielig würde und der Nutzen konnte schlecht abgeschätzt werden. In Workshops mit Arbeits- und Organisationspsychologen wollten wir dann herausfinden, mit welchen Massnahmen wir das Verhalten der Mitarbeitenden im Umgang mit Beinahe-Unfällen positiv beeinflussen können. Früher wurden solche Beinahe-Unfälle nämlich lediglich im kleinen Rahmen besprochen, sie blieben meistens eine lokale Angelegenheit und andere konnten nichts daraus lernen. Für Personen- und Sachschäden bestand natürlich bereits eine Meldepflicht. Solche Unfälle werden analysiert und diese Daten dann über den Newsletter ASGS in Form eines Unfallbeispiels an alle Regionen und Geschäftseinheiten weitergeleitet. Ein solch reglementiertes und systematisches Vorgehen gab es jedoch noch nicht für Beinahe-Unfälle. Im Gegenteil erfuhren wir über manche Situationen eher per Zufall. Und das wollen wir jetzt ändern. Unser Ziel und was wir mit diesem Projekt erreichen wollen ist es, dass jeweils nicht nur ein kleiner Personenkreis über einen Vorfall Bescheid weiss, sondern die ganze Gruppe. Wie sieht denn die Lösung schlussendlich aus? Wir haben ein Tool gefunden, welches unsere Mitarbeitenden einfach, das heisst ohne Login oder Passwort, über eine Eingabemaske ausfüllen können. In einem weiteren Schritt haben wir Plakate entworfen, welche so anders gestaltet sind, dass sie auffallen, weil die Kolleginnen und Kollegen so etwas noch nie gesehen haben. Sie sind in unterschiedlichen, auffälligen Farben gehalten und haben das Ziel, Aufmerksamkeit zu erregen. Auf den Plakaten wird ein QR-Code aufgedruckt sein, über welchen Mitarbeiter wie auch Externe (z.B. Temporäre) auf das Meldetool zugreifen können. Überdies wird es Sticker mit dem QR-Code geben, die wir grosszügig überall verteilen – quasi mit dem Ziel, dass auf jedem Laptop und in jedem Geschäftsfahrzeug ein Sticker klebt, damit Mitarbeitende an jedem Ort möglichst schnell einen QR-Code finden und eine Meldung im Tool erfassen können.
Und welche Informationen sollen Mitarbeitende in dem Tool jeweils angeben? Es wird eine Beschreibung der Situation gefordert, die Kontaktdaten der meldenden Person sowie – allerdings fakultativ – Fotos. Alle Meldungen, die über dieses Tool eingehen, kommen bei mir auf den Tisch und ich lese sie und entscheide, welche weiteren Schritte geschehen sollen. Wenn beispielsweise noch weitere Abklärungen nötig sind oder Anpassungen gemacht werden müssen, leite ich die Meldung an einen Fachdelegierten Arbeitssicherheit (FD ASGS) weiter. Das sind in jeder Geschäftseinheit eine bis vier Personen, welche den gemeldeten Beinahe-Unfall, respektive die unsichere Situation, bearbeiten und mir über die getroffenen Massnahmen Bericht erstatten. Was bedeutet in diesem Zusammenhang «bearbeiten»? Nehmen wir als Beispiel, dass an einem Standort ein Treppengeländer beschädigt ist. Ein Mitarbeiter erfasst darüber eine Meldung, welche ich an den entsprechenden FD ASGS weiterleite. Ein FD ASGS vor Ort sorgt dann dafür, dass das Geländer repariert wird. Ein anderes mögliches Szenario kann sein, dass auf einer Baustelle beinahe jemand von einem Freileitungsmast getroffen worden wäre. Diese Situation wird dann analysiert: Was ist genau vorgefallen? Wurde nicht den Arbeitsanweisungen entsprechend gearbeitet oder waren die Arbeitsanweisungen falsch? Was waren die konkreten Ursachen? Je nachdem, welches Ergebnis die Analyse hervorbringt, werden die entsprechenden Massnahmen ergriffen – zum Beispiel die Anpassung des Handbuchs für Arbeitssicherheit. Solch ein Vorgehen stärkt das ganze Unternehmen, weil dann der gleiche Fehler beim zweiten Mal verhindert werden kann. Können Mitarbeitende auch anonyme Meldungen erfassen? Das Ziel mit der Sensibilisierungskampagne und dem Meldetool ist es, dass Mitarbeiter gefährliche Situationen und Beinahe-Unfälle melden und sich dabei sicher fühlen, dass sie deswegen keine Repressalien zu befürchten haben. Anonyme Meldungen sind deshalb nicht notwendig. Dies ist ein wichtiger Grundsatz, den wir bei Arnold leben wollen: Eine positive Feedback-Kultur ohne negative Konsequenzen. Man soll und darf Fehler machen. Diesen Grundsatz den Mitarbeitenden zu vermitteln und sie zu bestärken, ist auch eine Führungsaufgabe. Es soll niemand dazu angehalten sein, eine Situation alleine zu analysieren. Wir sind ausserdem der Meinung, dass Meldungen für Mitarbeitende auch schnell, einfach und unkompliziert vorzunehmen sein müssen und sie so wenig mit dem Fall zu tun haben wie möglich. Sollten wir als Verantwortliche im Bereich Arbeitssicherheit Gesundheitsschutz zu einem gemeldeten Beinahe-Unfall genauere Informationen benötigen, können wir bei der betreffenden Person immer noch nachfragen. Wann wird die interne Sensibilisierungskampagne mit den Plakaten und dem Meldetool anlaufen? Wahrscheinlich werden wir im zweiten Quartal damit starten. Man kann im Tool ja übrigens nicht nur Beinahe-Unfälle melden, sondern auch Themen im Zusammenhang mit der Umwelt anbringen, z. B. wenn irgendwo eine Substanz ausgelaufen ist oder dergleichen, welche nicht direkt mit ASGS in Zusammenhang stehen. Ich sorge dann dafür, dass auch diese Meldungen an die richtigen Stellen gelangen. Das heisst, dass du in Zukunft mehr Arbeit haben wirst. Ich hoffe es sehr! Wenn wir dadurch mehr zu tun haben und dann mit vergleichsweise geringem Aufwand Unfälle vermeiden können, ist das aus meiner Sicht gut investierte Zeit.
Teilen Sie diesen Artikel